Wrackbergung vor Wismar durch Forschungstaucher
Wismar / DPA / Jens Büttner (1.12.2016):
Im trüben Wasser der Wismarbucht fischen Archäologen nach einer wissenschaftlichen Sensation: Im April wurden bei der Munitionsbergung im Wismarer Hafen zwei große, gut erhaltene Wrackteile aus dem Mittelalter entdeckt und bis Sommer teils freigelegt.
Seit Monaten werden die Funde im Meer akribisch vermessen und dokumentiert, wie Roman Scholz von der Rügener Bergungsfirma UWA-Logistik am Mittwoch sagte. Bei stürmischem Wetter präsentierten die Wissenschaftler erste Funde und Ergebnisse der Bergung.
Das stückweise Freilegen der gut 600 Jahre alten Wasserfahrzeuge aus der Hansezeit werde sich noch bis ins nächste Frühjahr hinziehen. Zum Schutz vor Wracktauchern und Schatzräubern müsse der genaue Fundort streng gesperrt und die Öffentlichkeit solange abgeschirmt bleiben, bis die Schiffe komplett an Land gehievt sind, erklärte Landesarchäologe Detlef Jantzen.
„Diese Schiffe sind eine echte Neuentdeckung“, betonte Jantzen. „Wir haben es auf jeden Fall mit mittelalterlichen Schiffsresten zu tun.“ Untersuchungen hätten ergeben, dass es sich bei den Funden um Wracks aus dem 13. oder 14. Jahrhundert handelt. Für das Alter des Holzes konnte die Zeit um 1200 bestimmt werden - bis dahin stand der Baum im Wald und wurde anschließend verbaut. Bis wann die etwa 15 bis 18 Meter langen Schiffe mit ihren Lasten wie Steinen, Holz oder Bier über die Ostsee segelten und warum sie sanken, ist noch unklar.
Die Wracks seien für die Wissenschaft vor allem deshalb so interessant, weil es kaum Vergleichsfunde oder schriftliche Zeugnisse aus jener Zeit gebe, erklärte Bergungsleiter Scholz. Auch das vor 20 Jahren bei Wismar entdeckte Wrack der sogenannten „Poeler Kogge“ sei nach neuesten Untersuchungen doch deutlich jünger als lange Zeit vermutet - keine 650, sondern 250 Jahre alt.
So mache das extreme Alter der beiden jetzt entdeckten Wracks ihren Wert für die Wissenschaft aus. „Ein Sensationsfund“, meinte Archäologe Scholz. Den guten Zustand der Funde führen die Wissenschaftler auf die dicken Schichten Sand, Schlick und Muscheln zurück, unter denen die im Flachwasser versunkenen Koggen mehrere Jahrhunderte lang begraben waren. Nicht mal vom gefürchteten Schiffsbohrwurm, einer Holz zersetzenden Muschelart, seien sie befallen, erklärte Scholz.
Klar ist, dass beide Lastensegler kompakt und stabil aus mächtigen Eichenholz-Spanten gezimmert worden waren, was auf Handelsschiffe hindeute. „Das macht die Sache so spannend: wir wollen verstehen, zu welchem Schiffstyp die Hölzer gehören“, sagte Jantzen. Ob es sich um Koggen, dickbauchige Hanse-Schiffe, handele, sei noch unbekannt. Auch warum sie vor Wismar sanken, ließe sich nur vermuten. Möglich sei, dass sie auf Reede lagen oder am Werftplatz. Eins der Schiffe habe Feuer gefangen und sei brennend untergegangen. Ob wegen eines Unfalls oder kriegerischen Ereignisses, müsse noch erforscht werden.
Die Taucher arbeiten den Winter hindurch von einem Ponton aus, der sich in einem extra gekennzeichneten Sperrgebiet neben der Hafeneinfahrt befindet. In den nächsten Wochen sollen die Wracks nun Spant für Spant aus der Ostsee gehievt, abtransportiert und dann auf jeden Fall wieder unter Wasser vor dem Austrocknen gesichert werden. Dazu würden sie 2017 im Meeresdepot des Landes Mecklenburg-Vorpommern vor der Insel Rügen versenkt werden.